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Erfahrungen als Grossratsstellvertreter an der Aprilsession 2024

von Andriu Decurtins, Grossratsstellvertreter Kreis Cadi & Vorstandsmitglied Junge Mitte GR

Zwei Wochen vor der Aprilsession des Grossen Rates in Graubünden versammelten sich 150 Abgeordnete im 2842 Kilometer entfernten Tiflis (Georgien). Die Stimmung war angespannt: Vor dem Parlament protestierte eine grosse Schar lautstarker Aktivisten gegen ein umstrittenes Gesetz, das auf der Traktandenliste stand. Kaum war die Sitzung eröffnet, explodierte die Stimmung: Parlamentarier rannten durch die Gänge, und im nächsten Moment flogen bereits die Fäuste.

Im Vergleich zu diesem schwarzen Tag in der Geschichte der Demokratie wirkte die Aprilsession im Bündner Grossrat wie eine gemütliche Konferenz. Gerade diese Ruhe zeugt von einem funktionierenden Parlament. Dieser Bericht soll nicht im Detail die (aus meiner Sicht hochinteressanten) Geschäfte der Aprilsession 2024 beleuchten, sondern vielmehr die Session aus der Sicht eines neugierigen Stellvertreters schildern.

Als Aussenstehender wirft die Mitverfolgung einer Session viele Fragen auf. Warum werden manche Geschäfte nicht tiefer besprochen? Wieso sind die Stimmen teilweise klar verteilt? Und warum endet manche Wortmeldung in einem Plädoyer für die eigene Weltanschauung?

Gerade die letzte Frage ist berechtigt, da manche das Rederecht für mehr oder weniger öffentlichkeitswirksame Parolen nutzten. Wie lässt es sich sonst erklären, dass die Diskussion des höchst komplexen Strassenbauprogramms 25-28 mit einer Brandrede über den Reifenabdruck in unserem dünn besiedelten Kanton Graubünden "geschmückt" wurde? Auch die Infragestellung einer kleinen Solaranlage, die auf der neuen Zivilschutzanlage errichtet werden soll, zeigt, dass das Kernthema beim einen oder anderen in Vergessenheit geriet.

Am besten bringt es Grossrat Gian Derungs mit folgendem Ausschnitt auf den Punkt: "Um die Regierung nicht zu verärgern, müsstet ihr einen zielführenden Antrag stellen." An wen diese Wortmeldung gerichtet war, überlasse ich der Fantasie der Leserin oder des Lesers.

Die klare Stimmverteilung und die kurze Zeit zur Diskussion hochkomplexer Geschäfte lassen sich durch den grossen Apparat erklären, der hinter der Session steht. Die Fraktionen können die ersten Informationen und Beschlüsse bereits intern prüfen. Diese werden in einem zweiten Schritt in den Fraktionen behandelt. Dabei könnten noch unzählige weitere formelle und informelle Treffen, die in- und zwischen den Fraktionen stattfinden, genannt werden. Die Arbeit der Verwaltung und die Mitsprache von externen Betroffenen ist hier gar nicht eingerechnet.

Die Spitze des Eisbergs – die Session – besteht schliesslich aus gut informierten Parlamentariern, die die Geschäfte in die letzte Phase begleiten. Das zeigt bereits, dass der komplexe Einblick, den man als Neuling erhält, die wahre Grösse des Prozesses nicht erfassen kann. Obwohl Erfahrung und politisches Fingerspitzengefühl sicherlich hilfreich sind, um diese Tätigkeit auszuüben, kann man auch als junger Mensch viel bewegen.

Hierbei möchten wir der Mitte-Fraktion unseren besonderen Dank aussprechen. An der letzten Aprilsession waren gleich 7 der 34 Fraktionsmitglieder von der Jungen Mitte: Andriu Decurtins, Nando Cathomas, Laura Caluori, Tino Schneider, Eleonora Righetti, Fabian Collenberg und Gian Andrea Haltiner – sei es als Grossrat oder als Stellvertreter. Dies zeigt, dass die Fraktion es verstanden hat, der nächsten Generation die Chance zu geben, sich am politischen Meinungsbildungsprozess zu beteiligen. Es stärkt die Meinungsvielfalt innerhalb der Fraktion und des Parlaments sowie das Vertrauen der Jugendlichen in die Politik.

Der Gedanke, dass man als Jugendlicher keinen Einfluss auf das politische Geschehen nehmen könne, kann ich als Vertreter der Jungen Mitte Graubünden klar vom Tisch weisen. Was in der Erfahrung des Handwerks fehlen mag, wird durch andere Erfahrungen und Meinungen wettgemacht. Die Fraktion der Mitte Graubünden hat beispiellos gezeigt, dass sie den Mut hat, von diesem Erfahrungsschatz Gebrauch zu machen. Bereits an der ersten Fraktionssitzung wurden die Jungen mit Wärme und auf Augenhöhe empfangen und in das politische Handwerk eingeführt.

Die unzähligen Möglichkeiten zur Mitsprache und die Vielfalt der Fragen, Wortmeldungen und Diskussionen auf allen Ebenen des politischen Prozesses stärkten mein Vertrauen in die Bündner Demokratie. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass es der Bündner Demokratie gut geht. Diese Kultur gilt es zu bewahren und weiterzuentwickeln. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das Vertrauen der Bevölkerung in den Parlamentbetrieb, welches eines der höchsten Güter darstellt.

Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der schlimmste Verstoss eine leichte Redezeitüberschreitung war. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass in unserem Parlament noch lange keine Fäuste fliegen werden, während die Bevölkerung im Hintergrund protestiert.

Autor: Andriu Decurtins, Grossratsstellvertreter Kreis Cadi, Vereidigung an der Aprilsession 2024


Grossrätinnen und Grossräte sowie Stellvertretende (v.l.n.r): Laura Caluori (Bonaduz), Gian-Andrea Haltiner (Felsberg), Nando Cathomas (Brigels), Eleonora Righetti (Cama), Tino Schneider (Chur), Andriu Decurtins (Trun), Fabian Collenberg (Sumvitg)